Im Folgenden möchte ich zunächst eine einfache Basis-Übung zur Selbstregulation mit dir teilen, die du mehrmals am Tag durchführen kannst, um dich besser mit dir selbst zu verbinden und dich wieder ins Hier und Jetzt zu orientieren, insbesondere wenn du dich häufig gestresst oder angespannt fühlst. Dadurch kann sich deine Kapazität für schönes Erleben erhöhen.

Basis-Übung zur Orientierung im Raum

Zunächst einmal suche dir eine bequeme Position – das kann aufrecht stehend sein oder an der Wand gelehnt, sitzend oder sanft und langsam gehend. Deine Orientierung im Hier und Jetzt erfolgt über den Sehsinn sowie den sensorischen Sinn des Bewegens. Lasse nun langsam und behutsam deinen Blick in deinem Umfeld schweifen und folge mit deinem Kopf deinem Blick – so als wolltest du ein detailreiches Gemälde begutachten. Dein Kopf bewegt sich in die Richtung in die du blickst – dies führt zu einer Bewegung der Muskeln in deinem Hals, die wesentlich zur Orientierung beitragen. Die Orientierung wiederum signalisiert deinem Nervensystem Sicherheit – dein Parasympathikus wird aktiviert. Führe alle Bewegungen zeitlupenlangsam durch und ziehe alle Dimensionen (oben, unten, hinten) mit ein. Durch die Bewegung deiner Halsmuskulatur erfolgt eine Rückkopplung an deinen Vagusnerv – ein dem Hirnstamm entspringender Nerv, der essenziell wichtig für das Erleben von Verbundenheit und Sicherheit ist. Die Bewegung und die Orientierung wirken sich regulierend auf dein Nervensystem aus. Wenn du dich häufig gestresst oder unter Anspannung fühlst, kann dir diese Übung helfen. Führe die Übung solange durch, bis ein tiefer autonomer Atemzug aufsteigt, dann beende die Übung – spüre im Anschluss an die Übung nach, was sich vielleicht verändert hat im Vergleich zum Beginn.

,,Der Sturm wird immer stärker. Das macht nichts. Ich auch.“ (Astrid Lindgren – Pippi Langstrumpf)

Was ist Selbstregulation? Was ist Co-Regulation?

Nun noch ein paar weiterführende Erklärungen:

Grundlage für ein Leben in psychischer und physischer Gesundheit ist die Fähigkeit der Selbstregulation, das heißt die Möglichkeit, auf das eigene Nervensystem Einfluss zu nehmen und damit steuernd auf emotionale sowie körperliche Zustände einwirken zu können. Diese Fähigkeit ist essenziell wichtig, denn – je regulierter du bist – desto besser gelingt es dir mit deiner Aufmerksamkeit bei dem zu bleiben, worauf du dich konzentrieren möchtest.

Wir befinden uns dann innerhalb unseres Stresstoleranzfensters (s. auch hier meinen Artikel zum Vegetativen Nervensystem) und sind präsent. Meiner Meinung nach ist wahre Präsenz das Zahlungsmittel unserer Zeit, denn meistens befinden wir uns entweder gedanklich in der Zukunft oder in der Vergangenheit und erzeugen damit unbewusst Stress.

Die Fähigkeit zur Selbstregulation ist uns jedoch nicht angeboren – als Babys und Kinder sind wir essenziell auf Co-Regulation durch unsere Bezugspersonen angewiesen – unser eigenes Nervensystem bzw. die Weite unseres Stresstoleranzfensters entwickelt sich erst nach und nach durch die immer wiederkehrende liebende Zuwendung durch einen beruhigend wirkenden Erwachsenen. Co-Regulation beschreibt also einen Vorgang, bei dem ein Mensch oder ein Tier mit einem regulierten Nervensystem einem anderen Menschen oder Tier hilft sich selbst zu regulieren bzw. zu beruhigen, beispielsweise also einfach, wenn eine Mutter ihr schreiendes Baby wiegt.

Die gute Nachricht: Auch wenn wir als Kinder nicht gut co-reguliert wurden (beispielsweise weil unsere Bezugspersonen das für sich selbst nicht gut konnten, da diese bereits traumatisiert waren) und unser Nervensystem durch ein schmales Stresstoleranzfenster ständig zwischen Über- und Unterregung pendelt, ist diese Fähigkeit auch später erlernbar – wenn wir bereit sind, uns unserem Inneren liebevoll zuzuwenden und damit in Kontakt zu treten, kann die Fähigkeit sich selbst zu beruhigen durch die Plastizität unseres Gehirns und neue Lernerfahrungen stetig verbessert werden.

Wenn du selbst nicht weiterkommst, kannst du dir für das Erlernen verbesserter Selbstregulation auch einen traumasensiblen Coach oder Therapeuten suchen – aus meiner Sicht ist es wichtig, dass am Anfang der Aufbau einer sicheren Beziehung steht und dass der Körper (der von dem durch Trauma ein dysbalanciertes Nervensystem betroffen ist) in die Arbeit mit einbezogen wird. Durch immer wiederkehrende Co-Regulation (durch deine/n Begleiter/in) erlernst du Selbstregulation und gelangst so zurück zu Selbstermächtigung.

Selbstregulation zu erlernen ist eigentlich Körperarbeit – denn es bedeutet, immer besser die eigenen vegetativen Zustände einordnen und in der Folge auch beeinflussen zu können – ist eher mein Sympathikus (hilft beim Fliehen oder Kämpfen in anstrengenden und gefährlichen Situationen) oder mein Parasympathikus (aktiv beim Ausruhen, Schlafen oder bei Entspannungspausen) gerade aktiv bzw. bin ich gerade über- oder untererregt? Welcher vegetative Zustand verbirgt sich hinter meiner Kompensationsstrategie?

Suchthaftes Verhalten (z.B. übermäßiges Essen, Alkohol, Handy, Macht, Geld etc.) sind häufig Kompensationsstrategien, um sich von inneren Spannungszuständen abzulenken – man könnte dies auch als unzweckmäßige Selbstregulation bezeichnen, da wir uns damit natürlich auf Dauer nichts Gutes tun.

Je besser wir uns aber selbst regulieren können und selbst kennenlernen, desto besser können wir auch anderen Menschen guttun und desto eher gelingt es uns sogar vielleicht als Gesellschaft auch irgendwann, Phänomene systemischer und kollektiver Traumatisierungen (Krieg, transgenerationale Traumatisierungen, Rassismus etc.) ganz zu durchbrechen. Und das ist doch wirklich ein lohnenswertes Ziel…

,,Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“ (Mahatma Gandhi, 1869-1948)

Hast du weitere Fragen – melde dich gerne bei mir